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Titel
Die Interaktion von Herrschern und Eliten in imperialen Ordnungen des Mittelalters.


Herausgeber
Drews, Wolfram
Reihe
Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung. Beihefte
Erschienen
Berlin-Boston 2018: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII., 321 S.
Preis
€ 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Becher, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Dieser Sammelband geht zurück auf eine Tagung, die im Juni 2015 in Münster stattgefunden hat. In seiner Einführung betont Wolfram Drews, dass die Imperien des Mittelalters in gängigen Abhandlungen der Imperienforschung – Herfried Münkler ist hierfür nur ein Beispiel – eher stiefmütterlich behandelt werden. Die Erforschung mittelalterlicher Imperien sei gleichwohl wichtig, zumal wenn es um Eliten und damit um die Bildung und Stabilisierung imperialer Herrschaftsformen gehe. Ein weiterführender Zugang ergebe sich aus Münklers Hinweis auf die Relevanz der ‚Deutungseliten‘, die eine kosmologische oder heilsgeschichtliche Mission des jeweiligen Imperiums postulierten und verbreiteten, auf die dessen Machtanspruch gründete. Diesen ‚primären‘ Eliten stehen ‚sekundäre‘ gegenüber, deren Handlungsrahmen regional begrenzt ist. Um beide Gruppen und ihre Interaktion geht es im vorliegenden Band.

Henning Börm (König und Gefolgschaft) betont die Bedeutung der gefolgschaftlichen Bindungen im Sasanidenreich sowohl zwischen König und führenden Adligen (Vuzurgān) als auch zwischen diesen und ihren Gefolgsleuten. Nach gängiger Forschungsmeinung beherrschten die Vuzurgān ganze Regionen, in denen der König seine Macht kaum zur Geltung bringen konnte. Demgegenüber kann Börm zeigen, dass die Sasaniden keine schwachen Herrscher waren, da es ihnen gelang, ihren Hof zum zentralen Ort der aristokratischen Konkurrenz zu machen.

Dagegen verweist Hartmut Leppin darauf, dass im oströmischen Reich eine Funktionselite gegenüber den grundbesitzenden aristokratischen Familien dominierte. In Konstantinopel gelang es dem Kaiser, alle Ressourcen zu monopolisieren und sämtliche Amtsträger im Palast selbst auszuwählen. Dennoch besaß die Kommunikation des Kaisers mit der Elite durchaus auch einen diskursiven Charakter. Gegenüber den offiziellen Vertretern der christlichen Religion konnte der Kaiser seine Autorität in aller Regel durchsetzen, nicht aber gegenüber Personen mit besonderem Charisma wie den prophetengleich auftretenden Asketen.

Im westlichen Mittelmeerraum kam es hingegen unter Vandalen und Ostgoten zu Neu- oder Umgruppierungen des imperialen Rahmens, wie Guido Berndt betont. Diese reichten bei den Vandalen anscheinend weiter, denn die Angehörigen der römischen Elite konnten eine führende Stellung nur erlangen, sofern sie zum homöischen Bekenntnis der Vandalen wechselten. Anders organisierte Theoderich der Große sein Reich, da er die vorhandenen römischen Institutionen nutzte, um seinen römischen Untertanen gegenüber wie ein römischer Herrscher zu agieren. Die Unterschiede in der Etablierung einer postimperialen Herrschaft scheinen in der jeweiligen Legitimation zu liegen: Während die Vandalen ausschließlich als Eroberer ins Land gekommen waren, verdankte Theoderich seine Stellung in Italien auch einem kaiserlichen Mandat.

Johannes Preiser-Kapeller untersucht die Stellung des armenischen Adels zwischen Byzanz und dem Kalifat im 8. und 9. Jahrhundert. Dessen Angehörige gründeten ihre Macht sowohl auf Grundbesitz als auch auf Ehrungen aus beiden imperialen Zentren. Insbesondere traten sie als Militärs in den Dienst beider Mächte. Diese Schaukelpolitik war für die imperialen Zentralen nur schwer zu kontrollieren. Die Abbasiden gingen daher seit dem 9. Jahrhundert dazu über, Sklavensoldaten aus der Peripherie und von jenseits der Grenzen als neue Militärelite zu rekrutieren.

Ann Christys analysiert die Rolle der Erziehung der christlichen Elite im islamischen Spanien seit 711, insbesondere in der Umayyadenzeit. Die kleine Minderheit der Eroberer war auf eine Zusammenarbeit mit Teilen der christlichen Mehrheit angewiesen. Ihre Vertreter erwarben Kenntnisse der arabischen Sprache und Kultur, um sich an der Verwaltung des Reiches beteiligen zu können, auch wenn dies z.T. die Kritik islamischer Autoren hervorrief.

Reuven Amitai stellt die administrativen und militärischen Eliten im Palästina der Mamlukenzeit in den Mittelpunkt seines Beitrags. Die Region wurde von den Herrschern eher als zweitrangig behandelt. Allein Jerusalem stand aufgrund seiner religiösen Bedeutung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Sultane, die Moscheen oder Sufizentren errichten ließen. Damit stellten sie auch die Loyalität der religiösen Eliten Palästinas sicher, die aufgrund einer zunehmenden Professionalisierung ihrer Ausbildung über großes Ansehen verfügten, das sie ihrerseits zur Stabilisierung der mamlukischen Herrschaft in Ägypten und Syrien einsetzten.

Annette Schmiedchen untersucht das Verhältnis imperialen Herrscher aus verschiedenen Dynastien zwischen 8. und 13. Jahrhundert zu den regionalen Eliten Zentralindiens, die durch Titelverleihungen, Heiratsverbindungen und Landvergabe in die Hierarchie des herrscherlichen Hofes eingebunden wurden. Außerdem erlaubten die imperialen Herrscher regionalen Eliten die Förderung religiöser Kulte oder kamen sogar deren Wunsch nach und machten religiöse Stiftungen.

Nicolas Tackett analysiert das Verhältnis der chinesischen Kaiser des 7. bis 13. Jahrhunderts zu den imperialen Eliten ihres Reiches. Während es unter den Tang noch Aristokraten im kaiserlichen Dienst gab, weil sie auf Grund einer besseren Bildung und ihrer familiären Verbindungen einen Vorsprung gegenüber anderen Bewerbern besaßen, setzte sich unter den Song ab 960 das Prinzip der Meritokratie als Folge der Einführung von Prüfungen für Beamte durch. In der Peripherie beschränkte sich die imperiale Zentrale dagegen auf eine Oberherrschaft und setzte auf die die Kooperation mit Teilen der lokalen und regionalen Eliten.

Steffen Patzold stimmt Herfried Münkler ausdrücklich zu und zählt das Karolingerreich ebenfalls nicht zu den Imperien, insbesondere weil es nicht durch die Dualität von Zentrum und Peripherie strukturiert worden sei. Vielmehr hätten vom Herrscher einberufene und geleitete Versammlungen als politische Plattformen fungiert. Daher habe es auch keiner „imperialen Mission“ im Sinne Münklers zur Legitimierung der fränkischen Sonderstellung bedurft, um die Eliten des Reiches für ein Engagement in den Randregionen des Reiches zu motivieren. Patzold kommt zu seinem Ergebnis, indem er die Kapitularien nicht wie die bisherige Forschung einfach als Herrschererlasse interpretiert, sondern sie überzeugend als Überreste der Politik auf den fränkischen Reichsversammlungen und der Kommunikation zwischen Herrscher und Eliten begreift.

Christoph Dartmann skizziert zunächst die fundamentale Neubewertung der Stellung der ottonischen und salischen Herrscher durch die neuere Forschung: Nicht strategisches Handeln, sondern eine pragmatische und z.T. äußerst punktuelle Kooperation mit den lokalen Eliten habe ihr Handeln bestimmt. Dies gelte auch für die hohe Geistlichkeit, da die Herrscher bei der Besetzung von Bistümern und Abteien in aller Regel die Interessen der regionalen Eliten berücksichtigen mussten. Viele Bischöfe gerade in Italien agierten daher vor allem als regionale Akteure und weniger als kaiserliche Sachwalter. Dies verdeutlicht Dartmann anhand von zwei Beispielstudien, die Leo von Vercelli und Aribert II. von Mailand gewidmet sind. Während der erstgenannte im Sinne der imperialen Herrscher agierte und seine Verbindungen in deren Sinne einsetzte, wandelte sich der zweite von einem entschiedenen Unterstützer des Kaisers zu dessen entschiedensten Gegner.

In diese Sinne setzt sich auch Jan Keupp in seinem Beitrag über die Fürsten der Stauferzeit von den Deutungsmustern der älteren Forschung ab. Angesichts der von vielen Herrschaftsträgern beanspruchten kaiserlichen oder wenigstens kaisergleichen Qualität ihrer Position, könnten zeitgenössische Aussagen keine Antwort auf die Frage nach imperialer Herrschaft liefern. Daher greift er auf Münklers Konzept einer „imperialen Mission“ zurück. Dies wende sich an die Eliten, die diese Programmatik nicht nur adaptierten, sondern auch zu ihrer eigenen machten. Dies trifft im hochmittelalterlichen Imperium auf die Reichsfürsten zu, die sich als Träger des Reiches verstanden und damit ihre eigenständige Rolle neben oder sogar mit dem Kaiser betonten. Im Zentrum der imperialen Ordnung stand selbstverständlich der Kaiser, dessen Angebot zur Partizipation an seiner imperialen Aura freilich nicht immer angenommen wurde, wie Keupp am Beispiel der römischen Kommune demonstriert. Dagegen appellierte Friedrich II. bei seinem Vorgehen gegen seinen Sohn Heinrich (VII.) erfolgreich an das Selbstverständnis der Reichsfürsten als imperiale Elite.

Alheydis Plassmann betrachtet die Rolle der Eliten im sogenannten Angevinischen Reich (Angevin Empire), das eigentlich ein Konglomerat von Herrschaftstiteln war, die Heinrich II. teils ererbt (Anjou, Normandie, England), teils durch seine Heirat mit Eleonore von Aquitanien erworben hatte. Zwar konnte der König angesichts der engen Verbindungen zwischen Angehörigen der normannischen Elite in England und der Normandie auf ein funktionierendes Netzwerk der politischen Eliten zurückgreifen, aber es lassen sich auch wichtige Unterschiede beobachten. Nach Ausweis der Urkunden begünstigte Heinrich II. Normannen vor allem in der Normandie. Weitaus seltener erhielten Normannen Vergünstigungen in England. Dagegen beteiligte der König auch Adlige besonders aus England an den Angelegenheiten der Normandie. Indessen kamen normannische Adlige in Aquitanien kaum zum Zuge, da der König dort selbst kaum aktiv wurde und seiner Frau Eleonore und dem als Erben vorgesehenen Sohn Richard fast völlig das Feld überließ. Wurde der König aber einmal in Aquitanien aktiv, stützte er sich nicht dezidiert auf die anglo-normannische Elite, sondern gleichmäßig auf Adlige aus allen seinen Herrschaftsgebieten.

Jochen Johrendt analysiert das Verhältnis der Päpste zu den Kardinälen im Hochmittelalter. Ihr Zusammenspiel war eine wichtige Voraussetzung für den imperialen Primat Roms über die westliche Christenheit. Institutionalisiert war die Mitwirkung der Kardinäle an den causae maiores im Konsistorium. Zudem stand ihnen ein Anteil an den Einnahmen der römischen Kirche zu. Dafür beteiligten die Kardinäle sich aktiv am Ausbau der päpstlichen Macht und hatten als Legaten einen entscheidenden Anteil an der Verbreitung der kirchlich-imperialen Ordnung im westlichen Europa und z.T., darüber hinaus. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts trat mit den Kaplänen eine weitere Elitegruppe an die Seite der Kardinäle. Auf die Kapläne konnte der Papst leichter zugreifen, die auch keine Teilhabe am Kirchenregiment für sich reklamieren konnten.

Ausgehend vom Diktum des Möngke Khan, die Sonne erhelle mit ihren Strahlen den Kosmos des Gesamtreichs und verhelfe diesem zu einer geordneten Existenz, geht Claudia Garnier in ihrer Zusammenfassung auf das imperialen Ordnungen eigene Narrativ ein, diese breiteten sich von ihrem Zentrum her aus und integriere die peripheren Regionen. Die Ergebnisse des Bandes zeigten aber ein anderes Bild, da oft die aus der Peripherie stammenden Eliten ein Mitwirkungsrecht an der Regierung von Imperien durchsetzen konnten. Dies sei entscheidend für deren Stabilität gewesen, da nur so Zentrum und Peripherie, imperialer Herrscher und imperiale Eliten einander stützen und so für den Fortbestand der imperialen Ordnung sorgen konnten. Garnier weist auch auf weiterführende Aspekte hin, die bei einer Erforschung imperialer Ordnungen ebenfalls Berücksichtigung finden sollten: Die Memoria, die Heiratspolitik, der Gesandtenaustausch sowie das zugehörige Protokoll.

Insgesamt leistet dieser Band einen wichtigen Beitrag zur Erforschung von Imperien, da er zum einen dem Mittelalter die gebührende Beachtung schenkt und zum anderen die Eliten als entscheidende Faktoren für die Etablierung, Stabilisierung, gegebenenfalls aber auch Destabilisierung imperialer Ordnungen vorstellt und diesen Ansatz konsequent auf Beispiele anwendet, die auf den ersten Blick zwar sehr unterschiedlich scheinen, aber dank einer konsequent angewendeten Methodik vergleichbar werden.

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